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Einladung

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Im Namen der Vorsitzenden der Kommission, Frau Professor Dr. Friederike Heinzel (Universität Kassel), laden wir herzlich ein zur 16. Jahrestagung der Kommission „Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE, Sektion Schulpädagogik), die vom 24. bis 26. September 2007 an der Freien Universität Berlin stattfinden wird.

1967 publizierte Hans-G. Rolff unter dem Titel „Sozialisation und Auslese in der Schule“ alarmierende Befunde zur Chancenungleichheit im deutschen Schulsystem. Darin wurde detailliert aufgeführt, welche Wirkmechanismen welche Benachteiligungseffekte in der Schule zur Folge hatten – und wie gering die Chancen sozial benachteiligter Kinder in Deutschland waren, sich durch schulische Bildung von den Fesseln der sozialen Herkunft zu befreien.

Leider gilt diese Feststellung weiter: Das verheerendste Urteil über die Qualität der deut­schen Grundschule spricht eine Jugendstudie aus, die PISA-Erhebung aus dem Jahr 2000: Fast ein Viertel der 15-jährigen in Deutschland kann nur auf einem elementaren Ni­veau lesen. Besonders schlecht schnitten Jugendliche mit Migrationshintergrund beim PISA-Test ab. Damit verfehlt die deutsche Grundschule in einem völlig un­akzeptablen Ausmaß eine ihrer wichtigsten Aufgaben: die erfolgreiche Einführung der Kinder in die Schriftkultur als unabdingbare Voraussetzung aller weiteren Bildungsbemü­hungen. An diesen Befunden ändert das relativ bessere Abschneiden Deutschlands in der Grund­schulstudie IGLU aus dem Jahre 2001 wenig: In keinem vergleichbaren europäischen Land ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen so eng wie in Deutschland: Schon am Ende der Grundschulzeit sind die Bildungschancen weitgehend festgelegt – und zwar weiterhin in Abhängigkeit von der so­zialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler. 

Trotz intensiver Einbindung der grundschulpädagogischen Forschung in die allgemeine erziehungswissenschaftliche Forschung gibt es eine Reihe von Primarstufen-spezifischen Forschungsdesideraten, die dringend der Bearbeitung bedürfen (Auswahl):

  • Wie kann Grundschulpädagogik die Bildungsbenachteiligung der Jungen mindern?
  • Zweisprachige Alphabetisierung versus DaZ (Deutsch als Zweitsprache): Was sind wirksame Sprachfördermodelle für Migrantenkinder?
  • Gibt es eine „Pädagogik der Armut“? Kann es sie geben? Soll es sie geben? Wie könnte sie aussehen?
  • Umgang mit Lernschwächen und Leistungsdefiziten in der Grundschule
  • Früherkennnung und Förderung schnell lernender und hoch begabter Kinder in der Grundschule
  • didaktische Formen zur produktiven Bewältigung von Heterogenität der Lerngruppen
  • Beiträge der Fachdidaktien zur Kompensation von Bildungsbenachteiligung in der Grund­schule
  • Verbreitungsstrategien von „best-practice“-Modellen
  • Formen von und Folgen der Mediensozialisation für Erziehung und Unterricht in der Grundschule

Auf der Tagung soll das System Grundschule im Kontext der weitreichenden öko­nomischen und sozialen Veränderungen unserer Gesellschaft analysiert werden. Dadurch sollen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen sowohl für die Bildungsforschung als auch für die politische, die pädagogische und die didaktische Aus­gestaltung dieses Systems gewonnen werden.

Für die dargestellte Thematik ist Berlin als Veranstaltungsort wie kaum eine andere Stadt prädestiniert. In nur wenigen anderen Städten ist die soziale und ethnische Benachteiligung großer Bevölkerungsgruppen in Deutschland so offenkundig erfahrbar wie hier: In dieser Stadt lebt jedes fünfte Kind von der Sozialhilfe. Berlin ist darüber hinaus ein Migrationszentrum ersten Ranges mit Kindern, die über hundert Muttersprachen sprechen, und sehr vielen Grundschulklassen mit einem Migrantenanteil von mehr als 50 %, in Extremfällen fast 100 %. Da die Fragen der sozialen Benachteiligung und der Integration von ethnischen Minder­heiten inzwischen auch die „große Politik“ interessieren, ist es schließlich auch geboten, einen Fachkongress zur Frage der sozialen Benachteiligung in der Grundschule in der Hauptstadt zu veranstalten, weil hier über die eigentliche Fachwelt hinaus bereits ein ge­wisses öffentliches Interesse an dem Thema besteht.

Wir würden uns freuen, mit dieser Tagung die Diskussion um die Entwicklung der Qualität von Grundschulunterricht inhaltlich und methodisch, fachbezogen als auch überfachlich weiterführen zu können.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Jörg Ramseger und die MitarbeiterInnen der Arbeitsstelle Bildungsforschung Primarstufe