Zur Erinnerung: Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, die Prävention zu einer eigenständigen Säule der gesundheitlichen Versorgung auszubauen und mit einem Präventionsgesetz die Kooperation und Koordination der Prävention sowie die Qualität der Maßnahmen der Sozialversicherungsträger und Sozialversicherungszweige übergreifend zu verbessern. Nach dem Fehlversuch eines Gesetzesentwurfs im letzten Jahr sieht die Planung nun vor, nach der erfolgten Umsetzung des GKV-WSG und der bevorstehenden Reform der Pflegeversicherung, noch im Jahr 2007 mit dem Vorhaben zu beginnen. Man sollte vielleicht anfügen: „ohne Gewähr“.
Abseits des ganzen Trubels um das GKV-WSG haben die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen in Kooperation mit dem Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (MDS) ihre Leistungen im Bereich der Primärprävention und Betrieblichen Gesundheitsförderung für das Jahr 2005 dokumentiert und reklamieren beharrlich ihre Position als Hauptakteur im Hinblick auf die demnächst geplante Verabschiedung des Präventionsgesetzes. Allein scheint bis auf die Herausgeber selbst kaum jemand Notiz davon zu nehmen.
Zum Hintergrund: Seit der „Wiederbelebung“ der Prävention 2001 veröffentlichen die Spitzenverbände der Krankenkassen jährlich eine bundesweit einheitliche, krankenkassenartenübergreifende Dokumentation über durchgeführte Aktivitäten in der Primärprävention und Betrieblichen Gesundheitsförderung gemäß §20 Abs. 1 und 2 SGB V.
Wie in den Vorjahren weiß der Präventionsbericht 2005 unter Betrachtung rein quantitativer Aspekte erneut zu überzeugen. Die gesetzlichen Krankenkassen haben nach eigenen Angaben im Jahr 2005 nahezu 3,8 Millionen Menschen mit Maßnahmen der Primärprävention und der Betrieblichen Gesundheitsförderung erreicht. Gegenüber dem Jahr 2004 bedeutet dies einen Zuwachs um knapp zwölf Prozent.
Dem traditionell hoch frequentierten Bereich der individuellen Kursangebote wird dabei vergleichsweise wenig Bedeutung beigemessen, obwohl hier Steigerungsraten in Höhe von 45% auf insgesamt rund 1,2 Millionen Teilnahmen verzeichnet werden konnten. Die Themenschwerpunkte sind - wie gehabt - klar verteilt. Maßnahmen im Handlungsfeld „Bewegung“ dominieren bei der Inanspruchnahme deutlich (rd. 72%). Es folgen Kurse zu den Inhalten „Vermeidung spezifischer Risiken/stressabhängiger Krankheiten“ (rd. 16%), „Ernährung“ (rd. 12%) und „Verantwortlicher Umgang mit Genuss- und Suchtmitteln“ (nur knapp 1%). Einschränkend wird sogar konstatiert, dass die Kurse wie in den Vorjahren vorzugsweise von Frauen und Versicherten im Alter zwischen 30 und 60 Jahren genutzt würden, von Männern, jüngeren und älteren Versicherten dagegen unterproportional.Mit verhaltenspräventiven Angeboten werden nach wie vor Personen mit geringeren gesundheitlichen Risiken erreicht.
Um so deutlicher unterstreichen die Krankenkassen ihr erfolgreiches Engagement für Prävention im Lebensumfeld (nichtbetrieblicher Settingansatz) zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen und bringen sich so gleichzeitzeitig als hauptverantwortlicher Akteur und Koordinator für Setting-Aktivitäten in Position.
Schätzungsweise zwei Millionen - vor allem junge Menschen - konnten 2005 mit diesen Maßnahmen erreicht werden. Das entspricht Setting-Aktivitäten in 18.300 Einrichtungen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei weiter auf Kindern und Jugendlichen. 83% aller Maßnahmen wurden in Schulen, Berufsschulen oder Kindertagesstätten durchgeführt.
Die Laufzeit der Aktivitäten war bei 42% der Fälle für ein Jahr und länger angelegt. Bezüglich der Durchführung der Maßnahmen sind kassenübergreifende Zusammenarbeit sowie das Einbinden von Kooperationspartnern (Gesundheits-, Sozial- und Bildungseinrichtungen, Öffentliche Verwaltung etc.) längst keine bloßen Schlagworte mehr, sondern werden aktiv umgesetzt.
Im Bereich der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) dokumentieren die gesetzlichen Krankenkassen ihr kontinuierliches Engagement. Weniger die (im Vergleich zum Vorjahr annährend gleich gebliebene) Anzahl von ca. 600.000 teilnehmenden Arbeitnehmer/innen als die aktive eigene Rolle wird bei der Durchführung hervorgehoben. Schwerpunktmäßig wurde BGF bei Betrieben aus dem verarbeitenden Gewerbe durchgeführt. Im Vergleich zu den Ergebnissen in 2004 ist der Anteil der Aktivitäten, deren Laufzeit ein Jahr und länger andauerte, mit 52 % leicht angestiegen (2004: 47%).
Die gesetzlichen Krankenkassen haben im Vorfeld des nächsten Versuchs zur Verabschiedung eines Präventionsgesetzes offensichtlich ihre Hausaufgaben gemacht. Auffällig offensiv wird in dem Bericht gesamtgesellschaftliche Verantwortung in der Prävention und Gesundheitsförderung über die GKV hinaus gefordert, um unter Beteiligung anderer verantwortlicher Akteure zu nachhaltigen gesundheitsförderlichen Veränderungen für die Menschen beizutragen. Die Verknüpfung von verhältnis- und verhaltensbezogenen Interventionen sowie Netzwerk- und Kooperationsprojekte, unter Einbindung regionaler und überregionaler Kooperationspartner, sollen verstärkt ausgebaut werden, um auch weiter die Menschen und Bevölkerungsschichten zu erreichen, die aufgrund ungünstiger Lebensbedingungen (geringe Schulbildung, niedriges Einkommen, Arbeitslosigkeit) häufig größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind.
Auf dem Hintergrund der Ergebnisse des Präventionsberichtes fordern die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung die Verantwortlichen in Bund und Ländern mittlerweile sogar nachdrücklich öffentlich auf, sich nicht aus diesem Bereich zurückzuziehen, sondern ihr eigenes Engagement für die Prävention ebenfalls auszubauen.
Das BMG hält sich mit Stellungnahmen zum aktuellen Präventionsbericht der gesetzlichen Krankenkassen bisher (zumindest öffentlich) zurück und verfolgt seinerseits eher globale Präventionsansätze. Gesundheitliche Prävention und Ernährung sind nicht nur Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, sondern verdeutlichen den Stellenwert, den die Bundesregierung dieser Problematik beimisst. Bei genauer Betrachtung der Aktivitäten scheinen jedoch begründete Zweifel an der Höhe des tatsächlichen Stellenwerts angebracht zu sein.
Aktuell zu nennen ist hier die Badenweiler Erklärung, die Strategien für gesundheitliche Prävention in Europa formuliert. Im Rahmen der Konferenz „Gesundheitliche Prävention, Ernährung und Bewegung – Schlüssel für mehr Lebensqualität“ haben Vertreterinnen und Vertreter aller 27 EU-Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission und der WHO Ende Februar 2007 das Ziel bekräftigt, die Prävention in Europa weiter zu stärken.
Das Memorandum der Konferenz bringt jedoch lediglich zum Ausdruck, dass ein gesundheitsförderlicher Lebensstil vermehrt als gesellschaftlicher Wert verankert werden müsste. Über alltagstaugliche Empfehlungen (mehr Bewegung, mehr Obst und Gemüse, mehr Einrichtung mit Gemeinschaftsverpflegung) gehen die Forderungen jedoch kaum hinaus. Die Empfehlungen zur Umsetzung der verschiedenen Schritte (z.B. „Die Prävention von Übergewicht bei Erwachsenen verbessern!“) sind mehr als dürftig.
Marion Caspers-Merk, Parlamentarische Staatssekretärin im BMG führt u.a. wieder einmal die „3000 Schritte extra“–Kampagne und den gemeinsam mit den Deutschen Landfrauen initiierten Ernährungsführerschein als wichtige Beiträge auf, die Menschen zu mehr Bewegung und einer gesunden Ernährung zu motivieren.
Hier soll wohl vermittelt werden, dass die Bundesregierung mit ihren Präventionsaktivitäten in Europa bereits eine Vorreiterrolle einnimmt. Ob mit diesen oder vergleichbaren Maßnahmen des BMG (www.die-praevention.de) ernsthaft eine Entwicklung der Zunahme von chronischen Erkrankungen, Übergewicht und Bewegungsarmut bis 2020 gestoppt werden kann (wie im Memorandum der Badenweiler Konferenz prophezeit), ist zumindest zweifelhaft.
Auf eine neue Gesetzesvorlage für ein Präventionsgesetz und die vorgesehene Rollenverteilung unter den verschiedenen Akteuren darf weiter mit Spannung gewartet werden.
Weitere Informationen:
Präventionsbericht 2005 der Spitzenverbände der Krankenkassen
IPG-Newsletter Gesundheitsfoerderung 01/07 (25. März 07)