Gesundheit nach der Wahl
Die neue Bundesregierung will den Bürgerinnen und Bürgern mehr Möglichkeiten einräumen, ihren Krankenversicherungsschutz selbst zu gestalten. Selbstbehalte und höhere Selbstbeteiligungen sollen Anreize für ein kostenbewusstes Verhalten setzen. Da das Sachleistungsprinzip den Patienten künstlich uninformiert hält, wird grundsätzlich die Kostenerstattung eingeführt. Die Lockerung des Werbeverbots soll den Versicherten die umfassende und neutrale Information erleichtern. Der Arbeitgeberanteil wird als Bestandteil des Lohns – eingefroren auf heutigem Niveau- ausgezahlt, um den Automatismus zwischen steigenden Gesundheitsausgaben und Lohnkosten zu durchbrechen. (Hierfür muss allerdings verschmerzt werden, dass die höheren Gesundheitskosten dann zur Gänze von den Arbeitnehmern getragen werden). Da der Markt bekanntlich am besten geeignet ist, die Gesundheitsversorgung zu optimieren, kann der Risikostrukturausgleich schrittweise abgebaut werden. Prävention in Form von Bewegungsstunden oder Ernährungsberatung stellen wichtige Elemente dar, mit denen die Bürgerinnen und Bürger durch ein gesundheitsbewusstes Leben zur Krankheitsvermeidung beitragen können. Bonussysteme, wie beim Zahnersatz, unterstützen die Motivation. Leistungen, die vom Einzelnen durch Wahrnehmung der Verantwortung für die eigene Gesundheit vermieden werden können, sollen aus dem Leistungskatalog herausgenommen werden. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, nicht im Kernkatalog enthaltene Leistungen privat abzusichern.
Nein, die FDP bekommt doch nicht das Gesundheitsressort, und dieses Szenario ist somit auch nicht Teil des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung geworden. Etliche Forderungen aus den Wahlprogrammen des Junior-Partners „Bündnis 90/Die Grünen“, (aber auch der PDS,) wie z.B. nach Einbeziehung anderer Einkommensarten (aus Selbständigkeit, Zinsen, Mieten oder Spekulationsgewinnen) finden sich hier allerdings auch genauso wenig wieder wie die Aufwertung nichtärztlicher Gesundheitsberufe oder die längst überfällige Inkraftsetzung der Positivliste.
Im Koalitionsvertrag vom 16.10.2002 sprechen sich Rot-Grün dafür aus, die GKV durch Anhebung der Versicherungspflichtgrenze (nicht jedoch der Beitragsbemessungsgrenze) zu stärken. Ob dies allerdings ausreichen wird, die Finanzierungslücken zu decken, kann bezweifelt werden. Ohne weitere Einnahmequellen zu erschließen, müssen zwangsläufig die Beiträge erhöht und/oder die Leistungen gekürzt werden.
„Angesichts der demographischen Entwicklung“ will die Bundesregierung den Leistungskatalog der GKV stetig anpassen und die Versorgung „strikt am medizinisch Notwendigen“ ausrichten. Hier muss kritisch verfolgt werden, ob sich hinter solchen Formulierungen nicht auch weitere Leistungsausgrenzungen verbergen könnten.
Die Kassen sollen zukünftig mit den Leistungsanbietern auch Einzelverträge abschließen dürfen, wobei der Zugang (zu den medizinisch notwendigen Leistungen) weiterhin wohnortnah bei freier Arztwahl möglich sein soll. Der Gesundheitssicherstellungsauftrag soll dafür entsprechend angepasst werden. (Die PDS befürchtet dadurch für manche Versicherten eine teilweise Einschränkung des Zugangs zu Gesundheitseinrichtungen).
Enttäuschend liest sich der Passus zu Prävention und Gesundheitsförderung. Die Federführung soll hier das „Deutsche Forum für Prävention und Gesundheitsförderung“ übernehmen, in dessen Gründungserklärung aber lediglich Verhaltensprävention, Lebensweisen und Arbeitsbedingungen erwähnt werden. Dass, wie die Grünen und auch die PDS in ihren Wahlprogrammen zurecht feststellten, eine große Reihe von Krankheitsauslösern individuell nur schwer beeinflussbar ist und daher eine nachhaltige Gesundheitspolitik die Einbettung in eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik erfordert, findet sich hier leider nicht wieder. Überraschenderweise taucht dafür im Koalitionsvertrag auch die Forderung von FDP und CDU auf, den Kassen die Entwicklung von Anreiz- und Bonussystemen zu gestatten.
Die neue Bundesregierung will den Patientenschutz ausbauen durch eine Patientencharta und einen Patienten-Beauftragten. Auch in punkto der Zusammenfassung der Patientenrechte in einem Patientenschutzgesetz konnten sich die Bündnisgrünen somit nicht durchsetzen.
Gleichfalls muss beobachtet werden, wie die nunmehr geplante Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte (zunächst auf freiwilliger Basis) mit dem Anspruch der Grünen, „gläserne Patienten“ auf keinen Fall zu tolerieren, in Einklang gebracht wird.
Dafür soll ein Gentest-Gesetz weitgehenden Schutz für die Patientinnen und Patienten bieten.
Was sich davon aber umsetzen lässt, wird die Zeit erst zeigen müssen. Die Stärkung der Patientenrechte und der Gesundheitsförderung sowie die Beitragssatzstabilität standen auch schon im rot-grünen Koalitionsvertrag von 1998, genauso wie der Schutz von Würde und Grundrechten im Rahmen von medizinisch-ethischen Fragen, die Stärkung der Rolle des Hausarztes oder die Positivliste. (An dieser Stelle steht nun: „Die Arzneimittelversorgung wird liberalisiert“, womit Schmidt wohl die Internet-Apotheken ins Spiel holen will).
Vieles davon ist nur sehr unbeherzt angegangen worden oder ließ sich innerhalb von 4 Jahren nicht erfüllen. Sicherlich musste sich Rot-Grün damals zunächst mit dem Erbe der Seehofer-Ära herumschlagen, und vielleicht können sie nun einige ihrer Reformpunkte schneller angehen. Es wird sich jedoch erst noch herausstellen, ob die nun beabsichtigten
gesundheitspolitischen Maßnahmen, die überwiegend Positionen aus dem SPD-Wahlprogramm abbilden und viele vorwärts weisende Vorschläge der Grünen oder der PDS unberücksichtigt lassen, für Patientinnen und Patienten süße Medizin oder bittere Pillen sind. Reines Brechmittel hätten wir allerdings bei einem anderen Wahlausgang bekommen.
IPG-Newsletter Gesundheitsfoerderung 01/02 (22.Okt.02)