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Emanzipation als orientierende Praxis

Grundlagentheorie, Wirkweisen und Machbarkeit eines pädagogischen Leitprinzips 

Simon Obenhuber


Kurzbeschreibung

Emanzipation (lat. emancipatio) bezieht sich auf eine Loslösung aus Abhängigkeit (»aus der Hand geben«) und war lange Zeit eine diskursbündelnde Leitkategorie der Pädagogik, die auf erhöhte Selbstbestimmung der Menschen zielte. Die defizitäre Handlungsperspektive einer emanzipativen Pädagogik verweist bis heute auf ein Desiderat der Bildungsforschung. Die übergreifende Frage der Studie lautet, wie diese pädagogische Leitkategorie in Theorie und Empirie – als orientierende Praxis – revitalisiert werden könnte. In dieser Arbeit bezieht sich die »Loslösung« auf die habitualisierte Abhängigkeit der Kulturteilnehmer:innen, die auch zentraler Gegenstand des theoretischen Bezugsrahmens sein wird. Dieser wird im ersten Hauptteil vor allem über eine pädagogische Anthropologie (Kapitel 2) und eine kritische Sozialtheorie (Kapitel 3) konzipiert. Diese theoretische Suchbewegung mündet in eine verdichtete Alltagsszene (Kapitel 4), welche als Modell angelegt ist und zwei Extrempunkte im Umgang mit der ästhetischen Alltagserfahrung markiert: die konforme und die emanzipative Handlungsorientierung. Die Rekonstruktion von handlungsanleitenden Orientierungen ist zentrales Erkenntnisinteresse der dokumentarischen Methode (Bohnsack): In Anlehnung an dieses methodische Vorgehen entsteht im zweiten Hauptteil eine Darstellung der Prozessebene jener modellierten Alltagsszene. Dabei werden in einer empirischen Erstanalyse drei Fallbeispiele ausgewählt, die bis zu einer explorativen Typologie weiterentwickelt werden. Letztere verankert die (theoretisch) modellierten Idealtypen im Interviewmaterial und richtet dabei die Forschung auf das methodische Fremdverstehen des »blinden Flecks« zwischen beiden Idealtypen aus. Hierbei lassen sich Typ A und C den idealtypischen Handlungsorientierungen des Modells zuordnen, während Handlungstyp B den blinden Fleck bedient und somit erkenntniserweiternd rekonstruiert wird. Durch diesen komparativen Vergleich lässt sich ein Merkmal des emanzipativen Handlungstyps C konturieren: Im Kontrast zu A und B agiert der emanzipative Handlungstyp genetisch-reflexiv, er weiß um die Genese seines Handelns und kann diese reflektieren. Nach dem Entwurf dieser Möglichkeiten einer empirischen Analyse, bezogen auf die Theorie aus dem ersten Hauptteil, wird ersichtlich, dass durch die Rekonstruktion bestimmte Handlungsorientierungen abgegrenzt werden können, die sich als Stützpunkte zur Bewertung der dazwischenliegenden Bildungsprozesse übersetzen lassen. Als zentrales Ergebnis wird daraus eine »basale Triade von Handlungsorientierungen« (Abb. 8) zur Diskussion gestellt: Anhand dieser Konstruktion des Typenfelds wird letztlich ein Bildungsmodell entfaltet. Mit dem dritten Hauptteil endet der Beitrag zur Grundlagenforschung einer allgemeinen Pädagogik, indem ein punktuelles Forschungsprogramm, pädagogische Handlungsperspektiven sowie der Umriss eines emanzipativen Bildungsbegriffes zusammengeführt werden.