Aus dem Bereich hochschuldidaktische Qualifizierung: Students' University (StudentU) – Projektfazit zur gemeinsamen Lehrentwicklung von Lehrenden und Studierenden
Christine Schnaithmann, Dr. Cynthia E. Heiner & Nora Kaiser
08.11.2024
Das Projekt Students‘ University (StudentU) am Dahlem Center for Academic Teaching (DCAT), gefördert durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre, unterstützt seit 2022 die Zusammenarbeit von Lehrenden und Studierenden zur gemeinsamen Lehrentwicklung an der Freien Universität Berlin. In Teams setzten sich Lehrende und Studierende verschiedener Fachbereiche unter der Begleitung von Hochschuldidaktikerinnen von DCAT mit den Herausforderungen des Lehr-Lern-Geschehens auseinander und betrachteten das Curriculum aus der Perspektive der studentischen Erfahrung. Dabei konnten durch den gezielten Einsatz von Methoden nicht nur Hindernisse für den Lernerfolg identifiziert, sondern auch innovative Lösungsansätze entwickelt und umgesetzt werden. Die Zusammenarbeit von Studierende und Lehrenden führte zu neuen Erkenntnissen für die Integration der studentischen Stimme und die geteilte Verantwortung für den Lehr- und Lernerfolg.
Das Ziel des Projekts StudentU bestand darin, studentisches Lernen durch studentische Partizipation gemeinsam mit Lehrenden in der Lehrentwicklung zu fördern. Hierzu haben wir fünf sogenannte Lehrentwicklungsprojekte (LEP) ins Leben gerufen, die in den Fachbereichen Mathematik und Informatik, Biologie, Chemie und Pharmazie, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Veterinärmedizin sowie am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien angesiedelt sind.
Die LEP verfolgten unterschiedliche Schwerpunkte und setzten dabei auch auf verschiedene Methoden, die zu den Zielen der jeweiligen Projekte passten (siehe Tabelle 1). Unabhängig von den spezifischen Zielen hatten alle Vorhaben gemeinsam das Ziel, Studierende als Expert*innen ihrer eigenen Studienerfahrungen auf Augenhöhe am Entwicklungsprozess zu beteiligen. Als Hochschuldidaktikerinnen im LEP-Team moderierten und strukturierten wir den Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden. Die beteiligten Studierenden und Lehrenden zeigten ein hohes Maß an Bewusstsein und Bereitschaft für die geteilte Verantwortung von Lern- und Studienerfolg. Das Potenzial studentischer Partizipation wurde entsprechend zur gemeinsamen Gestaltung in den LEP genutzt. Unter Mitwirkung aller Beteiligter konnten so „blinde Flecken“ aufgedeckt und zahlreiche studierendenorientierte Lösungsansätze entwickelt und eingesetzt werden, die zum jeweiligen Lehrkontext der Lehrenden passten.
Tabelle 1
Zentrale Ziele und Methoden der Lehrentwicklungsprojekte von StudentU
Lehrentwicklungs- |
Ziele |
Maßnahmen/Methoden |
Mathematik und Informatik |
Verbesserung der Studieneingangsphase |
Designworkshops, Blitzinterviews, Clustern |
Biologie, Chemie und Pharmazie |
den heterogenen Mathematikvorkenntnissen der Studierenden gerecht werden |
Designworkshops, Blitzinterviews, Ersti-Brief, Fokusgruppe |
Geschichts- und Kulturwissenschaften |
Förderung der wissenschaftlichen Schreibkompetenz der Studierenden |
Designworkshop, Fokusgruppe, Gläserne Sitzung, Diskussionsrunden |
Veterinärmedizin |
Einsatz von KI in der Lehre untersuchen und Studierendeninteraktion verstehen |
Diskussionsrunden, Leitfadeninterviews, Fragebögen, Feedback |
John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien |
verbesserte Interdisziplinarität und Studierbarkeit durch eine Um- bzw. Neugestaltung des Curriculums |
Designworkshop, Fokusgruppe, Student Journey Map, Cluster, Fokusgruppe |
Welche Themen wurden in den LEP identifiziert und welche Methoden wurden eingesetzt?
Wir orientierten uns am Double Diamond-Prozess des Design Thinking zur Problemlösung und Innovationsentwicklung (vgl. Grau & Rocket, 2022) und leiteten daraus einen Designprozess für unseren lokalen Hochschulkontext ab (Heiner et al., 2023; Schnaithmann et al. 2024). Zu Beginn jedes LEP gab es eine Kick-off Veranstaltung, in der die Ziele, die Vorgehensweise, der Umfang und die Rahmenbedingungen definiert wurden. Am Anfang stand jeweils eine vorläufige Problemstellung oder Fragestellung im Zentrum, die nachfolgend im Rahmen des Design Thinking-Ansatzes mit Studierenden vertieft betrachtet wurde. Bei StudentU war es zusätzlich zu den Perspektiven der eigenen studentischen Projektpartner*innen wichtig, die Vielfalt studentischer Erfahrungen zu berücksichtigen und Teilhabe zu fördern. Neben traditionellen Evaluationsformaten, wie Studentische Fokusgruppen, haben wir auch neue Methoden, wie z. B. Blitz-Interviews, Student Journey Mapping und Design-Thinking-Workshops erprobt. Eine studentische Fokusgruppe wurde z. B. zum Thema Curriculum organisiert, bei der Studierende höherer Semester eingeladen wurden. Hierbei wurden Student Journey Maps genutzt, die es Studierenden ermöglichen ihre Studienerfahrungen zu visualisieren und zur Diskussion beizutragen. Sie erlauben die grafische Abbildung von Handlungen, Arbeitspensum und Wohlbefinden im Zeitverlauf, um die Erfahrungen von Studierenden besser zu verstehen und nachzuvollziehen.
Quelle Dahlem Center for Academic Teaching
Die eingesetzten Methoden dienten vorrangig der Reflexion, um Erfahrungen von Studierenden besser zu verstehen und nachzuvollziehen. Sie ermöglichen Diskussion, Dokumentation und Visualisierung von Lehr- Lernprozessen.
Welche Lösungsansätze wurden erprobt?
Die Auswahl geeigneter Lösungsideen und Methoden orientierte sich an bestehender Forschung und wurde gemeinsam mit den Studierenden getroffen, wobei individuelle Rahmenbedingungen berücksichtigt und bei Bedarf zusätzliche Akteur*innen in das Team integriert wurden. Folgende Ergebnisse wurden erzielt: Im Bachelor Informatik entschied sich das Projektteam für eine Social-Belonging-Intervention mit selbst-reflektierten Student Stories (vgl. Walton et al., 2020) sowie die Einführung einer Methodenwoche, um die Studierenden beim Übergang ins Universitätsleben zu unterstützen. Diese Maßnahmen helfen den Studierenden, sowohl organisatorische und strukturelle Veränderungen als auch emotionale und soziale Hürden während der Studieneingangsphase zu bewältigen. In der Kunstgeschichte entstand ein Leitfaden zum Thema „Wissenschaftliches Arbeiten“, der von Studierenden im Rahmen eines Seminars erstellt wurde und als Ressource für alle Studierenden im Studiengang dienen soll. Im Fachbereich Biologie, Chemie & Pharmazie wurden mehrere Ursachen hinter dem vermeintlichen „Mathematikproblem“ aufgedeckt (z. B. fehlende soziale Eingebundenheit, organisatorische Hürden, Zeitdruck), die Attraktivität eines bestehenden Zusatztutoriums gesteigert und dessen Bewerbung verbessert. Im Studiengang Veterinärmedizin wurden Aufgaben entwickelt, die darauf abzielen, dass Studierende verantwortungsbewusste Arbeitsweisen im Umgang mit KI erlernen. Im Bachelor Nordamerikastudien wurden studentische Ideen zur Curriculumsgestaltung durch Designworkshops und Umfragen eingebracht und der Ausbildungskommission präsentiert. Diese hat die Vorschläge anschließend in ein externes Komitee von Curriculum-Expertinnen im Rahmen eines Qualitätssicherungs-Fachgesprächs eingebracht und plant, viele der Ideen in den kommenden Semestern umzusetzen.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus den Lehrentwicklungsprojekten?
Die LEP von StudentU zeigen, wie partizipative Lehrentwicklung erfolgreich umgesetzt werden kann. Design Thinking erwies sich als effektive Methode, um die Projektarbeit zu strukturieren und alle Beteiligten systematisch einzubeziehen. Der offene und vertrauensvolle Austausch zwischen allen Beteiligten führte zu neuen Einsichten und half, verborgene Herausforderungen zu identifizieren. Die Zusammenarbeit ermöglichte maßgeschneiderte, praxisnahe Lösungen, die langfristig zu nachhaltigen Veränderungen in der Hochschullehre führen können. Studierende konnten aktiv in den Lernprozess eingreifen, ihre Kreativität einbringen und Lehrende auf Augenhöhe unterstützen. Formate wie Blitzinterviews und Selbstreflexions-Umfragen boten 95 Studierenden die Möglichkeit, wertvolles Feedback zu geben, was zu Verbesserungen der Studienerfahrung für ca. 400 Studierende führte und auch folgenden Studierendengenerationen helfen kann.
Quelle Dahlem Center for Academic Teaching
Die LEP-Partner betonten in den Exit-Interviews, dass die professionelle Begleitung durch uns entscheidend für den Erfolg ihrer Projekte war. Ein Lehrender bemerkte, dass er „nicht über die Kompetenzen verfügt hätte, solche maßgeschneiderten, partizipativen Aktivitäten zu entwickeln“. Die Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Lehrenden stellte sich für beide Seiten als wertvolle Lern- und Entwicklungsmöglichkeit heraus. Alle Beteiligten gewannen neue Perspektiven auf die Lehre, sowie ein gesteigertes gegenseitiges Verständnis und Empathie für die Herausforderungen, die im Lehr- und Lernprozess auftreten.
Die Erfahrungen aus den LEP zeigen, dass Innovation und Veränderungen in der Hochschullehre sowohl durch individuelle didaktische Beratung und gruppenbezogene Interventionen als auch durch die kollektive Weiterentwicklung von Curricula funktionieren können. Die Einbeziehung von Studierenden nützt insbesondere dabei, die Konzeption und Umsetzung des Studienangebots lernförderlicher zu gestalten. Diese Art von Aushandlungsprozessen und statusgruppenübergreifender Kooperationen sind an der Hochschule jedoch kein Selbstläufer. Die in den unterschiedlichen Rollen im Projekt beteiligten Studierenden benötigen von Projektbeginn an Empowerment und Unterstützung, damit sie auf Augenhöhe mit den Lehrenden interagieren können (vgl. Leben et al., 2024). Der Arbeitsaufwand zur Begleitung und Gestaltung dieser Prozesse war in einzelnen LEP insbesondere für die Hochschuldidaktiker*innen sehr hoch. Entsprechend kann sich der Transfer des Modells von StudentU auf Vorhaben mit größerer Reichweite auch als Herausforderung darstellen und bedarf gegebenenfalls einer Anpassung der Projektstruktur.
Raum für kreative Ideen, kontinuierliches Feedback und partizipative Reflexion sind entscheidend, um die Qualität der Studienerfahrung zu verbessern, eine entsprechende Curriculums-Reform voranzutreiben und eine dynamische Lernkultur zu schaffen. Die Lehrentwicklungsprojekte können dabei als Vorbilder angesehen werden, in denen Studierende und Lehrende im Sinne des Leitbild Studium und Lehre der FU Berlin gemeinsam Verantwortung für die Lehr-Lern-Umgebung tragen.
Wenn Sie Interesse an den Lehrentwicklungsprojekten und den eingesetzten Methoden haben, schauen Sie auf der Projektseite des Dahlem Center for Academic Teaching vorbei.
Literatur
Grau, S. L. & Rockett, T. (2022). Creating Student-centred Experiences: Using Design Thinking to Create Student Engagement. The Journal of Entrepreneurship, 2(31), Supplement, Special Issue: Entrepreneurship and the Craft of Teaching, S. 135S–159S. https://doi.org/10.1177/09713557221107443.
Heiner, C. E., Schnaithmann, C., Kaiser, N., Hagen, R. (2023) Fostering student participation with Design Thinking in higher education. International Journal of Management and Applied Research - Special Issue: Exploring people centred design in the context of curriculum and learning design in higher education, 10(2), 177–190.
Leben, N., Reinecke, K., & Heiner, C. E. (2024). Prozessbegleitung studentischer Partizipation in Hochschullehre und Curriculumsentwicklung. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 19(3), 209–227. https://doi.org/10.21240/zfhe/19-03/12
Schnaithmann, C., Kaiser, N., Reinecke, K. & Heiner, C. E. (2024) Studierendenorientierte Lehrentwicklung mit Design Thinking. Neues Handbuch Hochschullehre, 115 (Sonderausgabe zur TURN23), 113–126. Franz Steiner Verlag. https://www.nhhl-bibliothek.de/media/263cce49cd3391acb6fb6b8ca603b68b541f1986/7de647818670dac54a3a44d6824f5ee073666fdf.pdf
Walton, G. M., Brady, S. T., & Crum, A. J. (2020). The social-belonging intervention. Handbook of wise interventions: How social psychology can help people change, 36–62.