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Exmatrikulierten-Befragung

Irmela Blüthmann und Rainer Watermann

16.11.2016

Für die Entscheidung, ein begonnenes Studium nicht fortzusetzen, das Fach oder die Hochschule zu wechseln, gibt es viele Gründe. Bei vielen Studierenden stehen hinter einer solchen Entscheidung nicht einzelne Motive, sondern eher Motivbündel, das zeigt die Forschung zum Studienabbruch. Welche typischen Motivbündel lassen sich bei Exmatrikulierten der Freien Universität Berlin finden und welche spezifischen Informations- und Unterstützungsbedarfe können abgeleitet werden? Die Arbeitsstelle Lehr- und Studienqualität hat Exmatrikulierte hierzu befragt.

Im Wintersemester 2014/15 wurden alle ehemaligen Studierenden der Freien Universität Berlin, die ihr Studium im Zeitraum zwischen dem Sommersemester 2012 und dem Wintersemester 2013/14 aufgegeben oder das Fach gewechselt hatten, zu ihren Exmatrikulationsmotiven befragt. Hierfür wurden 33 Items genutzt, die vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) entwickelt wurden, basierend auf umfangreichen Erfahrungen mit Untersuchungen zum Studienabbruch und qualitativen Vorstudien. Die Items lassen sich vier übergeordneten Bereichen zuordnen:

Studienbedingungen

Beispielitems

  • Mangelhafte Studienorganisation
  • Fehlende Wahlmöglichkeiten
  • Mangelhafte Betreuung
  • Anonymität in der Hochschule

Interessenverlust bzw. berufliche/
fachliche Neuorientierung

Beispielitems

  • Wunsch nach praktischer Tätigkeit
  • Nachgelassenes Fachinteresse
  • Schlechte Arbeitsmarktchancen

Studienanforderungen

Beispielitems

  • Zu viel Studien- und Prüfungsstoff
  • Leistungsdruck

Persönliche Motive

Beispielitems

  • Finanzielle Engpässe
  • Familiäre Gründe
  • Krankheit

Die Befragten wurden gebeten, die Relevanz jedes potentiellen Exmatrikulationsmotivs auf einer Skala von 1=“spielte überhaupt keine Rolle“ bis 5=“spielte eine große Rolle“ einzuschätzen.

Es liegen Einschätzungen von 1074 Exmatrikulierten aller Fachrichtungen und Abschlussarten vor. Zudem hatten die Befragten die Möglichkeit, weitere Gründe zu nennen. Basierend auf ihrem Antwortmuster wurden die Exmatrikulierten in verschiedene, in sich homogene Gruppen klassifiziert. Diese Typen bilden die subjektive Sicht der Befragten ab und deuten auf unterschiedliche Problemlagen im Studium hin, für die Informations- und Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Typ Verwählt: In dieser Gruppe dominierten nachgelassenes Interesse am Fach, der Wunsch nach einer praktischen Tätigkeit sowie Desinteresse an den beruflichen Möglichkeiten und schlechte Arbeitsmarktchancen. Weiterhin wurden überdurchschnittlich oft folgende Aspekte der Studienbedingungen genannt: Verschulung des Studiums, fehlende Wahlmöglichkeiten, fehlender Praxisbezug, mangelhafte Organisation des Studiums sowie mangelhafte didaktische Qualität der Lehre. Studienanforderungen und persönliche Motive spielten für diese Gruppe eine untergeordnete Rolle. Die Verwählten stammen überdurchschnittlich oft aus Studiengängen der Geistes- und Kulturwissenschaften, haben vergleichsweise gute Noten der Hochschulzugangsberechtigung und studierten überdurchschnittlich häufig mit finanzieller Unterstützung ihrer Eltern.

Typ Überfordert: Für diese Gruppe spielten die Studienanforderungen die entscheidende Rolle der Exmatrikulation. Überdurchschnittlich oft war ihnen der Studien- und Prüfungsstoff zu viel und sie gaben häufiger an, dass sie dem Leistungsdruck nicht gewachsen waren und an ihrer persönlichen Eignung für das Studium zweifelten. Studienbedingungen sowie persönliche Motive spielten eine eher untergeordnete Rolle. Die Überforderten kamen überdurchschnittlich häufig aus naturwissenschaftlichen Bachelorstudiengängen und aus Staatsexamensstudiengängen, hatten häufiger mit finanzieller Unterstützung der Eltern studiert und waren in einem vergleichsweise geringen Umfang studienbegleitend erwerbstätig.

Typ Demotiviert: In dieser Gruppe wurden sowohl die Studienbedingungen und Studienanforderungen als auch Interessensverlust/berufliche Neuorientierung überdurchschnittlich oft als Grund für die Exmatrikulation genannt. Die Gruppe der Demotivierten zeichnet sich dadurch aus, dass nahezu alle Motive in diesen drei Bereichen eine vergleichsweise große Rolle spielten. Bei den Studienbedingungen waren die mangelnde Unterstützung und die Anonymität in der Hochschule die am häufigsten genannten Motive. Auch persönliche Motive, insbesondere finanzielle Engpässe, aber auch Krankheit und Unwohlsein am Studienort wurden überdurchschnittlich oft angeführt. Die Demotivierten waren in der retrospektiven Sicht bereits zu Studienbeginn vergleichsweise schlechter über das Studium und die beruflichen Perspektiven informiert und stammen häufiger aus sozialwissenschaftlichen Masterstudiengängen.

Typ Familiär verpflichtet: Die familiär Verpflichteten begründeten ihre Exmatrikulation vor allem mit der Unvereinbarkeit des Studiums mit Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit, mit Schwangerschaft oder familiären Verpflichtungen. Auch der Wunsch, Geld zu verdienen, spielte eine größere Rolle als in drei der vier anderen Gruppen. Weiterhin wurden von dieser Gruppe die Studienanforderungen sowie ungenügende Betreuung im Studium überdurchschnittlich häufig genannt. Unter den familiär Verpflichteten ist der Frauenanteil höher als in den anderen Gruppen, ebenso der Anteil Studierender mit Migrationshintergrund sowie mit abgeschlossener Berufsausbildung. Weiterhin hatten sie einen vergleichsweise hohen Umfang studienbegleitender Erwerbstätigkeit.

Typ sonstige Motive: Abschließend ließ sich eine Gruppe finden, die keinem der 33 vorgegebenen Exmatrikulationsmotive – mit Ausnahme des Erhalts des ursprünglich angestrebten Studien- oder Ausbildungsplatzes – überdurchschnittlich häufig zustimmte und in der Freitextfrage sonstige, insbesondere persönliche Motive anführte. Es handelte sich zu einem überdurchschnittlich großen Anteil um Parkstudierende, für die das Studium eine Überbrückungslösung darstellte. Der Anteil derjenigen, die vor der Exmatrikulation keine Prüfungsleistung erbracht haben, ist allerdings nicht größer als in den anderen Gruppen. Die Personen mit sonstigen Motiven stammen häufiger aus Bachelorstudiengängen der Geistes- und Kulturwissenschaften und aus naturwissenschaftlichen Masterstudiengängen, haben vergleichsweise gute Noten der Hochschulzugangsberechtigung und waren gut über das Studium informiert.

 Grafik_Exmatrikuliertenbefragung

Was kann man tun?

Für diejenigen, die sich verwählt haben, erscheinen Informationsangebote zu Studieninhalten und Berufsperspektiven vor Studienaufnahme hilfreich. Weiterhin sind für diese Gruppe das Aufzeigen des Anwendungsbezugs des Stoffs und beruflicher Perspektiven sowie die Schaffung von Wahlmöglichkeiten im Studium wichtig. Für die Überforderten wären Informationen zu Studienanforderungen wichtig sowie die Möglichkeit, persönliche Studienvoraussetzungen im Vorfeld der Studienaufnahme kritisch zu prüfen. Um Studierenden mit unzureichenden Fachkenntnissen in relevanten Bereichen den Anschluss zu ermöglichen, wären fachliche Unterstützungsangebote im Studium hilfreich, z.B. Brückenkurse, zusätzliche Tutorien oder die Schaffung kleinerer Lerngruppen, in denen individuell auf fachliche Fragen und Lernschwierigkeiten eingegangen wird. Für die Demotivierten scheint auf der einen Seite die Information über Studieninhalte, Studienanforderungen und berufliche Perspektiven wichtig. Auf der anderen Seite wäre eine Verbesserung der individuellen Betreuung und Unterstützung durch die Lehrenden ein Ansatzpunkt. Die Äußerungen der Befragten in den Freitextfragen zeigen, dass hier eine angenehme Lernatmosphäre, Ansprechpartner/ innen bei Fragen und Problemen sowie Hinweise darauf, wie ungenügende Leistungen verbessert werden können, eine große Hilfe wären. Für die Gruppe der familiär Verpflichteten wären Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Studium und Familie wichtig, z.B. mehr Flexibilität in der Studiengestaltung, das Angebot eines Teilzeitstudiums oder auch finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten. Für die Gruppe derjenigen, die sich aus sonstigen Motiven exmatrikulierten, ist das Ableiten von Unterstützungsmöglichkeiten schwierig, da hier sehr heterogene individuelle Motive einerseits und strategische Motive andererseits (Parkstudierende) genannt wurden.

Nutzung von Informations- und Beratungsangeboten

Bestehende Beratungsangebote der Freien Universität Berlin wie die Studienfachberatung, die allgemeine und die studentische Studienberatung oder Sprechstunden der Lehrenden wurden im Vorfeld der Exmatrikulation nur von einem kleinen Teil der Befragten (jeweils 10-20%) genutzt. Die Mehrheit (60%) gab an, keine Beratung in Anspruch genommen zu haben. Unklar bleibt, inwieweit den Befragten diese Angebote bekannt waren. Weiterhin zeigen die Ergebnisse, dass jene Gruppen, für welche die Nutzung des Online-Studienfachwahlassistenten (OSA) hilfreich gewesen wäre (Demotiviert 17%, Überfordert 13% und Verwählt 15%), ein solches Angebot tatsächlich etwas häufiger zur Studienentscheidung genutzt hatten als diejenigen, die sich aus sonstigen Motiven exmatrikulierten (10%) und signifikant häufiger als die sich aufgrund familiärer Verpflichtungen exmatrikulierten Befragten (4%). Allerdings ist der Nutzer/innen-Anteil insgesamt sehr gering, da dieses Angebot zum Zeitpunkt der Einschreibung vieler Befragter noch nicht bestand. In den letzten Jahren ist das OSA-Angebot für die grundständigen Studiengänge sukzessive ausgebaut worden und inzwischen fast flächendeckend vorhanden. Gleiches gilt für die Mentoring-Programme. Hier lag der Nutzer/innen-Anteil unter den Exmatrikulierten bei durchschnittlich 16%. Die fünf Exmatrikulierten-Typen unterschieden sich in Bezug auf die Häufigkeit der Nutzung eines Mentoring-Angebots nicht

 Hier erhalten Sie Informationen zur Exmatrikuliertenbefragung der Freien Universität Berlin.