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Aus dem Bereich Evaluation: Erfassung der Lehrkompetenz bei problembasiertem Lernen – Ein Kooperationsprojekt mit der Charité Berlin

08.12.2021

Welche Kompetenzen sind für die Moderation von problembasiertem Lernen im Studium erforderlich und wie können diese Kompetenzen erfasst werden? Diesen Fragen sind wir in einem Kooperationsprojekt der Arbeitsstelle Lehr- und Studienqualität und des Arbeitsbereichs Schulpädagogik/Schulentwicklungsforschung der Freien Universität Berlin mit Expert:innen für problembasiertes Lernen der Charité nachgegangen.

Für die Erfassung der didaktischen Kompetenz von Lehrenden wird an der Freien Universität Berlin der LeKo-Fragebogen (Fragebogen zur Erfassung der Lehrkompetenz) genutzt. Der Fragebogen wurde für Lehrformate mit einem hohen Instruktionsanteil, wie Vorlesungen und Seminare, entwickelt und fächerübergreifend validiert (Thiel et al. 2012). Er basiert auf einem Modell der Lehrkompetenz, das drei Dimensionen der Unterstützung von Lernprozessen unterscheidet: die Unterstützung der Wissenskonstruktion, die Unterstützung der Motivation sowie die Steuerung der sozialen Interaktion in der Lerngruppe (Thiel et al. 2012). Ausgangspunkt unseres Kooperationsprojektes war die Frage, ob dieses Modell auch für die Erfassung der Lehrkompetenz bei problembasiertem Lernen genutzt werden kann.

Was ist problembasiertes Lernen?

Bei problembasiertem Lernen stellt eine komplexe authentische Problemsituation, beispielsweise eine Situation aus dem Berufsalltag, den Ausgangspunkt für die Initiierung von Lernprozessen dar. Die Problemlösung erfolgt in Kleingruppen weitgehend selbstgesteuert, typischerweise in einer vorgegebenen Schrittfolge unter der Begleitung einer Lehrperson. Diese überwacht, strukturiert und unterstützt den kooperativen Prozess der Wissenskonstruktion (Barrows, 1988). Mit Wissenskonstruktion ist der Lernprozess beschrieben. Wissen wird aufgebaut und erweitert, indem neue Informationen in bereits vorhandene kognitive Strukturen integriert werden. Bestimmte kognitive Prozesse wie die Elaboration (= Ausarbeitung) unterstützen diese Integration neuer Information. Elaboration findet statt, wenn Gruppenmitglieder sich z.B. gegenseitig mit Erklärungen helfen, Dinge zu verstehen, die Gedanken der anderen weiterdenken oder dazu nutzen, eigene Gedanken klarer darzustellen.

An der Charité Berlin hat der problembasierte Unterricht einen wichtigen Stellenwert in der Lehre. Studierende erarbeiten neues Wissen in Kleingruppen anhand von konkreten Fällen aus dem klinischen Alltag und entwickeln dabei neben Fachwissen auch Problemlösestrategien und kooperative Kompetenzen.

Worin unterscheidet sich die Rolle der Lehrenden bei problembasiertem Lernen von der Rolle, die Lehrende in Vorlesungen und Seminaren haben?

Bei problembasiertem Lernen sollen Lehrende die Wissenskonstruktion in der Gruppe überwachen und anregen, einzelne Lernphasen gezielt durch Impulse unterstützen sowie immer wieder auf lerndienliche Prozesse zurückführen, falls die Gruppe Unterstützung benötigt. Ihre Aufgabe ist es nicht, Wissen zu vermitteln, sondern den Lernprozess der Gruppe zu begleiten. Die Rolle der Lehrperson bei problembasiertem Lernen unterscheidet sich hiermit von der Rolle der Lehrperson in Lehrformaten mit einem hohen Instruktionsanteil. Bei problembasiertem Lernen übernehmen die Lernenden selbst einen großen Teil der Verantwortung für ihr Lernen und das Lernergebnis der Gruppen (Hmelo-Silver & Barrows 2008). Somit stellt die Qualität der Gruppenprozesse einen zentralen Faktor für das Lernen dar. Auch hier hat die Lehrperson aber eine (Mit)verantwortung für die kognitive, motivationale und soziale Unterstützung der Lernprozesse in der Gruppe (Gillies 2016).

Eine Evaluation, die lediglich das Handeln der Lehrperson in den Blick nimmt, würde bei kooperativem Lernen also zu kurz greifen. Eine Erfassung der Unterstützung muss hier auf zwei Ebenen ansetzen: Sowohl die Gruppe als auch die Lehrperson stellen wichtige lernunterstützende Faktoren dar, und die Angemessenheit der Unterstützung durch den/die Moderator:in kann nur in Verbindung mit dem Gelingen der Gruppenprozesse beurteilt werden.

Kann für die Erfassung der didaktischen Kompetenz bei der Unterstützung problembasierten Lernens das LeKo-Modell genutzt werden?

Basierend auf dem Forschungsstand zum problembasierten Lernen wurde ein Fragebogen entwickelt, der mit insgesamt 74 Items die Unterstützungsleistungen von Moderator:innen in den drei Dimensionen des Modells erfassen soll: die Unterstützung der Wissenskonstruktion (z.B. der Elaboration), der Motivation (z.B. das Sorgen für eine gute Lernatmosphäre) sowie die Unterstützung der sozialen Interaktion (z.B. die Sicherstellung der Partizipation aller Gruppenmitglieder an den Diskussionen).

Die Studierenden wurden einerseits gebeten, auf einer vierstufigen Skala (1= „trifft gar nicht zu“ bis 4 = „trifft völlig zu“) einzuschätzen, wie gut die Wissenskonstruktion, die Motivation und die soziale Interaktion in ihrer Gruppe in einem bestimmten Modul gelungen sind. Weiterhin sollten sie entlang derselben Items die Unterstützung einschätzen, die sie als Gruppe von der Lehrperson erfahren haben. Die nachfolgende Tabelle zeigt für ausgewählte Aspekte beispielhaft die im Fragebogen verwendeten Items. Diese sind stets so formuliert worden, dass sie parallel mit den beiden Intros „Unserer Gruppe ist es sehr gelungen, …“ und „Der/die Moderator:in hat uns dazu aufgefordert, …“ genutzt werden können, um für jeden einzelnen Aspekt sowohl das Gelingen in der Gruppe als auch die Initiierung durch den/die Moderator:in zu erfassen.

 

Der Fragebogen ist im digitalen Wintersemester 2020/21 an der Charité eingesetzt worden. Es haben sich 421 Studierende aus 152 Gruppen aus dem ersten bis fünften Fachsemester an dem Pretest des Instruments beteiligt. Dies entspricht einem Rücklauf von 21%.

Die Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, sowohl die Qualität der Gruppenprozesse als auch die teils sehr subtilen Unterstützungsleistungen durch die Moderator:innen zuverlässig zu erfassen. Die theoretisch entwickelten Skalen ließen sich empirisch in der digitalen Zusammenarbeit weitgehend abbilden. Die Beurteilerübereinstimmung in den Gruppen für die erfassten Konstrukte liegt in einem für die Unterrichtsforschung üblichen Bereich. Das LeKo-Modell kann somit auch für die Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung der Lehrkompetenz bei problembasiertem Lernen genutzt werden. Da bisher nicht klar ist, ob sich die Ergebnisse aus der digitalen Lehre auch auf die Präsenzlehre verallgemeinern lassen, wird der Fragebogen nach geringfügiger Überarbeitung im Wintersemester 2021/22 erneut an der Charité eingesetzt, um die Ergebnisse in einer Hauptstudie zu überprüfen. Das problembasierte Lernen erfolgt dann an der Charité teilweise digital und teilweise wieder in Präsenzsitzungen.

 

Literatur

Barrows, H. S. (1988). The Tutorial Process. Springfield: Southern Illinois University School of Medicine.

Gillies, R. M. (2016). Cooperative Learning: Review of Research and Practice. Australian Journal of Teacher Education, 41(3).

Hmelo-Silver, C. & Barrows, H. S. (2008). Facilitating collaborative knowledge building. Cognition and Instruction, 26, 48-94.

Thiel, F., Blüthmann, I. & Watermann, R. (2012). Konstruktion eines Fragebogens zur Erfassung der Lehrkompetenz (LeKo). In: B. Berendt, Voss, H.-P. & J. Wildt (Hrsg.): Neues Handbuch Hochschullehre, Loseblattsammlung. 55. Ergänzungslieferung, Beitrag I 1.13, 27 S., Stuttgart: Raabe Verlag.