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Aus dem Bereich Evaluation: Zahlt sich die Fähigkeit, selbstreguliert zu lernen, im Studium aus? Empirische Befunde zu Selbstregulation und Studienverlauf aus der Absolventenstudie der Freien Universität Berlin

Rainer Watermann und Juliane Ludwig

23.08.2017

Akademisches Lernen stellt Studierende vor neue Herausforderungen. So wird erwartet, dass sie ihr Lern- und Studierverhalten selbstständig gestalten und regulieren. Ob sich Fähigkeiten in diesem Bereich positiv auf den Studienverlauf auswirken, wurde auf Basis der Absolventenstudie der Freien Universität untersucht.

Akademisches Lernen an Hochschulen und Universitäten stellt Studierende vor neue Herausforderungen. So wird von Studierenden erwartet, dass sie ihr Lern- und Studierverhalten selbstständig gestalten und regulieren. Konkret bedeutet dies, sich Ziele zu setzen (z.B. eine Modulprüfung am Ende des Semesters abzulegen, die Bachelorarbeit anzufertigen), auf ein Ziel hinzuarbeiten, sich selbst und seinen Arbeitsprozess effektiv zu organisieren, seinen Lernprozess zu überwachen und auch bei auftretenden Schwierigkeiten an der Zielerreichung festzuhalten. In der Lehr- /Lernforschung werden solche Merkmale unter dem Begriff der Selbstregulation zusammengefasst. Es wird angenommen, dass die Fähigkeit zur Selbstregulation von zentraler Bedeutung für erfolgreiches Lernen insbesondere an Hochschulen ist.

Vor allem Unterstützungsangebote in der Studieneingangsphase, z.B. das Mentoringprogramm der Freien Universität Berlin zielen auf die Förderung der studentischen Selbstregulation ab. Studierende werden beim Zeitmanagement, beim Hilfesuchen sowie bei der Motivations- und Anstrengungsregulation unterstützt, so dass sie die Studieneingangsphase besser bewältigen. Eine damit einhergehende Erwartung ist, dass dadurch auch Verzögerungen im Studienverlauf verringert werden können. Entsprechende Angebote findet man auch in der Studienabschlussphase.

Welche Rolle die studentische Selbstregulation allerdings für den Studienverlauf spielt, darüber gibt es bislang in der Hochschulforschung erstaunlich wenige empirische Befunde. Im Rahmen der Absolventenstudie, deren Datenmaterial für die Abschlussjahrgänge 2011, 2012 und 2013 ausgewertet wurde, konnte untersucht werden, inwieweit die Fähigkeit zur Selbstregulation den Studienverlauf im Bachelorstudium positiv beeinflusst. Konkret ging es um die Frage, ob Studierende mit höherer Fähigkeit zur Selbstregulation das Studium häufiger in Regelstudienzeit (RSZ) abschließen
als Studierende, die über geringere Fähigkeiten zur Selbstregulation verfügen. In der Studie wurden Absolventinnen und Absolventen danach gefragt, wie sie ihre Fähigkeiten in folgenden Bereichen zum Zeitpunkt des Bachelorabschlusses einschätzen:

  • Fähigkeit, sich selbst und seinen Arbeitsprozess effektiv zu organisieren,
  • Fähigkeit, effizient auf ein Ziel hin zu arbeiten,
  • Fähigkeit, eigene Wissenslücken zu erkennen und zu schließen,
  • Fähigkeit, unter Druck gut zu arbeiten

Die Antwortmöglichkeiten reichten von 1 = “gar nicht“ bis 5 = “in sehr hohem Maße“. Für jede Person wurde aus den Itemantworten ein Mittelwert gebildet. Je höher der Wert, desto höher die Fähigkeit zur Selbstregulation. Um die Bedeutung dieses Merkmals für den Abschluss in RSZ abschätzen zu können, wurde in den Berechnungen für den Einfluss anderer Merkmale kontrolliert: das Alter, das Geschlecht, die Fächergruppe (Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften), der Bildungshintergrund (nicht-akademisch vs. akademisch), die Abiturnote, die Erwerbstätigkeit neben dem Studium (nein vs. ja), das Auslandssemester (nein vs. ja), die Betreuung und Beratung durch Lehrende (Drei statements: z.B. fachliche Beratung und Betreuung durch Lehrende, 1 = “sehr schlecht“ bis 5 = “sehr gut“) sowie die Studienorganisation (Fünf statements: z.B. Möglichkeit, Studienanforderungen in der vorgesehenen Zeit zu erfüllen, 1 = „sehr schlecht“ bis 5 = „sehr gut“).

Selbstregulation

Abbildung 1: Einflussfaktoren für ein Studium in RSZ (Chancenverhältnisse in %)

In Abbildung 1 ist für die statistisch signifikanten Merkmale dargestellt, welchen Einfluss diese auf den Abschluss des Studiums in RSZ hatten. Die Balken geben jeweils an, um welchen Wert (in Prozent) sich die Chance des Abschlusses in RSZ vergrößerte oder verringerte, wenn die Ausprägung des jeweils betrachteten Merkmals um eine Einheit zunahm.

Studierende mit einem Auslandssemester hatten eine um 11.6 Prozent reduzierte Chance, das Studium in RSZ abzuschließen. Demnach stellt ein Auslandssemester ein Risiko dafür dar, dass das Studium in RSZ abgeschlossen werden kann. Als förderliche Merkmale erwiesen sich hingegen die Abiturnote, die Beurteilung der Studienorganisation und – wie erwartet – auch die Fähigkeit zur Selbstregulation. Eine um eine Notenstufe bessere Abiturnote vergrößerte die Chance des Studienabschlusses in RSZ um gut 23 Prozent. Eine um einen Skalenpunkt positivere Einschätzung
der Studienorganisation war mit einer um knapp 15 Prozent vergrößerten Chance des Studienabschlusses in RSZ verbunden. Und schließlich zeigte sich der erwartete positive Effekt der Selbstregulation. Auch hier vergrößerte sich die Chance des Studienabschlusses in RSZ um gut 15 Prozent bei einer um einen Skalenpunkt positiveren Einschätzung der Selbstregulation. Das Ergebnis für die Selbstregulation ist deshalb so bedeutsam, weil der Effekt der Selbstregulation unabhängig von den Einflüssen aller anderen Modellmerkmale gilt. Die Fähigkeit zur Selbstregulation
entscheidet deshalb auch bei vergleichbaren Ausprägungen in allen anderen Merkmalen darüber, ob man in RSZ abschließt oder nicht. Das Alter, das Geschlecht, der Bildungshintergrund, die Erwerbstätigkeit und die Beratung und Betreuung durch Lehrende hatten nach Kontrolle der jeweils anderen Modellmerkmale keinen statistisch signifikanten Einfluss auf den Abschluss in RSZ.

Abschließend sei auf zwei Begrenzungen der Studie hingewiesen. Zum einen basiert die Erfassung der Fähigkeit zur Selbstregulation auf Selbstberichten und nicht auf objektiven Leistungen in einem Test zur Selbstregulation. Inwieweit Selbstberichte tatsächlich die Unterschiede in der Fähigkeit studentischer Selbstregulation abbilden, ist noch eine weitestgehend offene Frage. Unsere Studie zeigt immerhin, dass Selbstberichte mit dem objektiven Kriterium des Abschlusses in RSZ in Zusammenhang stehen. Zum anderen wurde die Fähigkeit zur Selbstregulation retrospektiv erfasst. Man weiß, dass retrospektive Urteile einem Rückschaufehler unterliegen können. Hier wäre eine Untersuchung mit mehreren Messzeitpunkten im Verlauf des Studiums wünschenswert.

Dennoch legen die Ergebnisse nahe, dass die studentische Selbstregulation eine wichtige Ressource für einen erfolgreichen Studienverlauf (hier: Abschluss in RSZ) ist. Daher stellt deren Förderung eine überaus sinnvolle Maßnahme dar.

Weiterführende Informationen zur Absolventenstudie der Freien Universität Berlin finden Sie hier.