Hintergrund
Hausbesuche als traditionsreiches Setting und sensibler Handlungsbereich der Sozialen Arbeit
Hausbesuche sind seit über einem Jahrhundert fester Bestandteil öffentlich organisierter und strukturierter sozialer Unterstützungsleistungen. Seit den Anfängen einer an der individuellen Situation von Bedürftigen orientierten Entscheidungsfindung über die Berechtigung und Angemessenheit einer Hilfeleistung, spiegelt sich im Setting des Hausbesuches das der Sozialen Arbeit immanente Dilemma von Hilfe und Kontrolle wider. Einerseits können Hausbesuche einen hilfreichen Weg zum Aufbau einer tragfähigen Helfer-Klient-Beziehung und zum besseren Verständnis individueller Problemlagen darstellen. Andererseits dienen sie immer auch der Informationsermittlung und Erkundung sowie der fachlichen Bewertung der häuslichen Umstände. In dieser Gleichzeitigkeit und vor dem Hintergrund des Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung festschreibt und somit eine rechtliche Legitimation für das Eindringen in die Privatsphäre von Bürger/innen einfordert, zeigt sich der Hausbesuch als besonders sensibler Bereich sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Handelns.
Hausbesuche und die öffentliche Debatte um Kindeswohlgefährdung und Kindstötung
Im Zuge der verstärkten medialen Berichterstattung zu Kindstötung und Kindeswohlgefährdung wurden mögliche Strategien zum besseren Schutz von Kindern in der Öffentlichkeit breit diskutiert, was auch in politische Entscheidungsprozesse mündete. Hierbei gewann auch der Hausbesuch stärkere Bedeutung und rückte nicht nur in den politischen, sondern auch in den fachlichen Debatten in den Fokus. Einige Bundesländer und Kommunen entwickelten Empfehlungen zur Durchführung von Hausbesuchen und boten Fortbildungen dazu an.
Ein erster Gesetzentwurf zu einem Bundeskinderschutzgesetz Anfang 2009, in dem die Jugendämter bei Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung zur Durchführung von Hausbesuchen verpflichtet werden sollten, wurde kontrovers diskutiert und stieß bei Fachvertreter/innen aus fundierten inhaltlichen Gründen fast durchgängig auf Ablehnung. Dies führte jedoch zu neuer Aufmerksamkeit und zu zunehmenden fachpolitischen Diskussionen über Sinn und Funktion von Hausbesuchen und die Frage der damit verbundenen Erkenntnisreichweite.
Änderung des §8a im Rahmen des BKiSchG 2012
„Soweit der wirksame Schutz dieses Kindes oder dieses Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird, hat das Jugendamt die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder den Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen und, sofern dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist, sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen“.
Mit dieser Neuformulierung des §8a Absatz 1 Satz 2 SGB VIII besteht nun eine neue formale und inhaltliche Begründungspflicht für die Durchführung und das Absehen von einem Hausbesuch. Dies stellt die Jugendämter vor eine veränderte Herausforderung, ihr Handeln in diesem Bereich zu qualifizieren und zu legitimieren.