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Wahlpflichtfach

Forschungsbezogenes Wahlpflichtfach
„Kognitionspsychologie und Psychophysiologie"

1.  Gegenstand

Die Psychophysiologie interessiert sich für die Beziehung zwischen Veränderungen im Verhalten und Erleben und physiologischen Veränderungen. Mit diesen Informationen soll das funktionale Geschehen erklärt werden, das die psychologischen und insbesondere die kognitiven Phänomene ermöglicht. Die Kognitionspsychologie beschreibt den Erwerb, die Verwendung und die Organisation von Wissen und Handlung. In entsprechenden Fragestellungen und mit Hilfe von naturwissenschaftlichen Methoden soll die funktionelle Organisation von Gehirntätigkeit, Informationsverarbeitung und Handlungsregulation analysiert und an Hand naturanaloger Modelle erklärt werden.

 

2.  Geschichte

Während Phänomene des Denkens und des Gedächtnisses schon mit den Anfängen der abendländischen Geschichte zu Reflexionen Anlaß gaben, dürfte das Bewußtsein über deren enge Bindung an das Nervensystem erst im 2. Jahrhundert entstanden sein. Die Entwicklung biomedizinischer Meßmethoden hat es in unserem Jahrhundert zunehmend ermöglicht, auch im psychologischen Labor physiologische Meßgrößen zu erfassen und damit auf parallele nervale, informationsverarbeitende Prozesse zu schließen. Dies erfolgte zunächst für globalere emotionale Prozesse. Die Geschichte der Kognitiven Psychophysiologie im engeren Sinn ist mit der Geschichte der Elektroenzephalographie verbunden. Erst seit den 60iger Jahren ist jedoch die Bedeutung kognitiver Phänomene für die meisten psychologischen Gegenstände erkannt worden. Die Theoriebildung in interdisziplinären Ansätzen, wie aus neuronalen Ereignissen Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Handlungsprozesse erklärbar werden, dauert bis heute an. Daraus entstehende Modelle werden zunehmend in der sogenannten Kognitiven Neurowissenschaft für das Verständnis von Gehirnfunktionen nutzbar gemacht. Die noch nicht abzusehende Entwicklung sogenannter bildgebender Verfahren wird die Verbindung zwischen Funktionen des Nervensystems und psychologischen Funktionen in Zukunft nicht nur deutlicher, sondern auch einfacher darstellbar machen.

 

3.  Differenzierung nach Theorien und Modellen

Die Herangehensweisen und Ziele von kognitionspsychologisch interessierten Psychophysiologen lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten charakterisieren. Eine Differenzierung ergibt sich schon durch die gewählte zeitliche Auflösung (Molarität) der untersuchten Verhaltensweisen. Teilweise verbunden mit dem Molaritätsanspruch ist die unterschiedlich angestrebte Nähe zum biologischen Substrat (kognitive Psychophysiologie vs. kognitive Neurowissenschaft). Eine weitere Differenzierung entsteht durch die primäre Orientierung an ursprünglich psychologischen (z.B. implizites Gedächtnis, Konzentration, Lernen) oder physiologischen bzw. neurologischen Gesichtspunkten (z.B. Lateralitätsfragen, neuronale Kartierung, Amnesien). Unterschiedliche und teilweise noch schwer vereinbare Schwerpunkte entstehen aber auch durch die bevorzugte Beachtung spezieller Dimensionen der Informationsverarbeitung, v.a. im Hinblick auf gedächtnis- bzw. konzeptdominierte („top down") und reizdominierte Verarbeitungsaspekte („bottom up"). Schließlich ergibt sich auch noch eine bedeutsame Differenzierung nach der Art der resultierenden Modellbildung. Dabei reicht das Spektrum von mehr oder weniger biologienahen neuronalen Netzwerken bis zu stochastischen Modellen, die Zufalls- und Selbstorganisationsprozesse im Nervensystem verständlich und für Verhaltensphänomene verantwortlich machen.

 

4.  Inhaltliche Differenzierung

Eine inhaltliche Einteilung ergibt sich nach den klassischen Fragestellungen der kognitiven Psychologie: Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Wissen, Sprache und Denken, Problemlösen und Problembewältigung, einschließlich der kognitiv-emotionalen und kognitiv-motivationalen Wechselwirkungen. Dazu kommen die feineren Differenzierungen nach verschiedenen Gedächtnissystemen hinsichtlich Modalität und Funktionalität, nach der Nähe zu Sinnesinformation, zu internen Regulationen oder zur Motorik, hinsichtlich der Nähe zur Kommunikation und Symbolverarbeitung (Sprachverständnis und -produktion) und hinsichtlich integrativer Aspekte (Aufmerksamkeit, Bewußtsein).

Neben der Untersuchung dieser Aspekte und ihrer physiologisch-neurologischen Verankerung an gesunden Probanden interessieren auch Fragen der Fehlfunktion und Pathologie (bei Hirnschädigung oder funktionellen Störungen). Auch die Entwicklung kognitiver Funktionen aus den evolutiven Wurzeln und die Entwicklung von der Kindheit bis ins Alter gibt wertvolle Aufschlüsse über die Zusammenhänge zwischen kognitiven Funktionen und Gehirn.

 

5.  Aspekte der Methodik

Die Untersuchung kognitiver Funktionen erfolgt in der Regel in typischen Paradigmen mit Hilfe der Methoden der experimentalpsychologischen Forschung. Ziel ist, die Verhaltensdaten (meist Reaktionszeit-, Fehler- und Selbstberichtsdaten) in Verbindung mit Daten zu bringen, die Rückschlüsse auf die Hirnaktivität zulassen. Hier eignen sich als indirekte Indizes Parameter der vegetativen Regulation und der reflektorischen Regulation (Orientierungs- und Augenbewegungen). Traditionelle Parameter der Hirnaktivität, die allerdings auch nur indirekte Bilder des neuronalen Geschehens liefern, sind dem Elektroenzephalogramm (EEG), dem Magnetencephalogramm und den Bildern der Hirndurchblutung oder anderer Parameter des Hirnstoffwechsels zu entnehmen. Vor allem die elektrischen und magnetischen Methoden besitzen zwar den Nachteil einer geringen örtlichen, aber den Vorteil einer hohen zeitlichen Auflösung und der Möglichkeit einer zeitlichen Lokalisation kognitiver Prozesse.

 

Im EEG können sogenannte ereigniskorrelierte Potentiale (EKPs) über die zeitliche Struktur von Enkodierungs- und Gedächtnisprozessen Aufschlüsse geben und frequenzanalytische Verfahren (EEG-Grundaktivität) über Aktivierungs- und Inhibitionsphasen. Mit Mappingtechniken lassen sich psychologisch relevante Prozesse im Gehirn besser lokalisieren; bildgebende Verfahren (z.B. Röntgen- und Positronenemissions-Tomographie) erstellen individuelle Topographien des lebenden Gehirns. Die Entwicklung rascher magnetresonanztomographischer Verfahren (MRI) läßt eine individuelle Verortung auch mit guter zeitlicher Auflösung erwarten (funktionelle Kernspinmessung).