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Aus dem Bereich Zentrale Evaluation: Interkulturelle Kompetenz von Studierenden – erste Ergebnisse eines neu entwickelten Instruments

22.11.2023

Internationalität hat an der Freien Universität einen zentralen Stellenwert. Ziel ist es unter anderem, Studierenden internationale Erfahrungen zu ermöglichen, um die Entwicklung interkultureller Kompetenz zu fördern und sie so auf eine Zukunft in einer globalisierten Arbeitswelt vorzubereiten. Bislang ist allerdings wenig dazu bekannt, inwieweit dieses Ziel tatsächlich auch erreicht wird. Erste Ergebnisse eines durch die Arbeitsstelle Lehr- und Studienqualität entwickelten Kurz-Instruments zeigen, dass Erfahrungen im Studium - über interkulturelle Erfahrungen, die die Studierenden außerhalb der Universität sammeln, hinaus - signifikant mit der Entwicklung interkultureller Kompetenz in Zusammenhang stehen. Sowohl studienbezogene Auslandserfahrungen als auch die Auseinandersetzung mit kultursensiblen Studieninhalten in den Sozial- und Geistes- bzw. Kulturwissenschaften scheinen dabei eine Rolle zu spielen.

Die Freie Universität Berlin versteht sich als internationale Netzwerkuniversität, die internationale Erfahrungen unter Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden fördert und damit zur Entwicklung interkultureller Kompetenz beiträgt. Dementsprechend ist die Förderung interkultureller Kompetenz im Studium als Kriterium für die interne Akkreditierung von Studiengängen verankert. Eine Prüfung dieses Kriteriums ist bislang allerdings nicht möglich gewesen, da kein geeignetes Instrument zur Erfassung interkultureller Kompetenz zur Verfügung stand. Im Auftrag des Präsidiums entwickelte die Arbeitsstelle Lehr- und Studienqualität deshalb ein theoretisch fundiertes und empirisch erprobtes Kurz-Instrument zur Erfassung interkultureller Kompetenz. Das Projekt wurde durch das Referat IV A - Center for International Cooperation der Freien Universität Berlin gefördert.

Die Entwicklung des Kurz-Instruments erfolgte in einem mehrstufigen Prozess im Zeitraum von August 2022 bis Oktober 2023. Hierbei wurde auf etablierte Instrumente zurückgegriffen und Ergebnisse aus Expert:inneninterviews berücksichtigt. Basierend auf den Daten einer Befragung von mehr als 1800 Studierenden aller Fachbereiche der Freien Universität Berlin wurde der Fragebogen dann empirisch erprobt und validiert. Im Rahmen dieser Validierungsstudie wurden Items zu einem Kurz-Instrument zusammengestellt, das die interkulturelle Kompetenz von Studierenden in den drei übergeordneten Dimensionen des sogenannten ABC-Modells der interkulturellen Kompetenz valide und reliabel erfasst. Die affektive Dimension (Affective) beinhaltet eine Kurzskala „Motivationale interkulturelle Intelligenz“, welche die Motivation und das Interesse an interkulturellem Austausch erfasst. Die kognitive Dimension (Cognitive) wird durch drei Kurzskalen abgebildet, die sowohl konkretes Wissen über andere Kulturen und nonverbale Kommunikationsregeln („Kognitive interkulturelle Intelligenz“) als auch die Reflexion dieses interkulturellen Wissens („Metakognitive interkulturelle Intelligenz“) sowie selbsteingeschätzte „Englischkenntnisse“ erfassen. Die verhaltensbezogene Dimension (Behaviour) beinhaltet zwei Kurzskalen, die sowohl adäquates Verhalten in interkulturellen Situationen („Verhaltensbezogene interkulturelle Intelligenz“) als auch die Fähigkeit zum „Aufbau von Beziehungen“ erfassen.

Die Ergebnisse der Validierungsstudie zeigen mit Blick auf Fächergruppenunterschiede, dass Studierende der naturwissenschaftlichen Fächergruppe in allen drei Dimensionen eine geringere interkulturelle Kompetenz aufwiesen als Studierende der Sozial- und Geistes- bzw. Kulturwissenschaften, während zwischen diesen beiden Fächergruppen kaum signifikante Unterschiede bestanden. Die dargestellten Fächergruppenunterschiede könnten einerseits auf studienspezifische Inhalte zurückgeführt werden, da in sozial- sowie geistes- und kulturwissenschaftlichen Studiengängen interkulturell vergleichende und kultursensible Inhalte naturgemäß eine größere Rolle spielen als in den Naturwissenschaften. Andererseits könnten diese Unterschiede aber auch auf fächergruppenspezifische Unterschiede in soziodemografischen Merkmalen (z.B. Geschlecht) oder in Internationalisierungserfahrungen der Studierenden (z.B. Auslandserfahrungen, private interkulturelle Kontakte) zurückzuführen sein.

In weiterführenden Analysen wurde deshalb der Frage nachgegangen, inwieweit die Fächergruppe und damit verbundene Unterschiede in der Auseinandersetzung mit kultursensiblen Studieninhalten sowie studienbezogene Internationalisierungserfahrungen tatsächlich mit der Entwicklung interkultureller Kompetenz in Zusammenhang stehen. Zur Beantwortung dieser Fragen wurden Regressionsanalysen genutzt. Für jede der sechs Kurzskalen wurde geprüft, welche Effekte studienbezogene Merkmale – wie die Fächergruppe sowie das Absolvieren eines Auslandssemesters bzw. -praktikums – auf die interkulturelle Kompetenz haben, wenn andere relevante Erklärungsfaktoren kontrolliert werden. Zu diesen Erklärungsfaktoren gehören 1. soziodemografische Merkmale (Alter, Geschlecht, Bildungs- und Migrationshintergrund), 2. schulische und private interkulturelle Erfahrungen (privater Auslandsaufenthalt, schulischer Auslandsaufenthalt, private interkulturelle Kontakte und interkulturelles Training) und 3. studienbezogene Merkmale (Abschlussart, Fachsemester).

Die Ergebnisse sind in Abbildung 1 dargestellt. Für jede Kurzskala sind die standardisierten Regressionskoeffizienten für die Variablen Sozialwissenschaften, Geistes- und Kulturwissenschaften, Auslandssemester und Auslandspraktikum als Balken dargestellt. Die Referenzkategorie für die beiden genannten Fächergruppen ist jeweils die naturwissenschaftliche Fächergruppe. Gestrichelte Balken stehen für nicht-signifikante Koeffizienten, während die farbigen Balken signifikante Zusammenhänge zwischen diesen Variablen und der jeweiligen Kurzskala anzeigen. So ist beispielsweise der Zusammenhang zwischen der Kurzskala „Metakognitive interkulturelle Intelligenz“ und der Variable Sozialwissenschaften nicht signifikant. Für die Geistes- und Kulturwissenschaften ist hingegen ein signifikanter Zusammenhang mit dieser Kurzskala zu verzeichnen, der darauf hinweist, dass Studierende dieser Fächergruppe im Vergleich mit Studierenden der Naturwissenschaften ihr Bewusstsein und ihre Reflexionsfähigkeit in Bezug auf ihr interkulturelles Wissen höher einschätzten. Es sind durchweg kleine Effekte zu verzeichnen.

Die Ergebnisse zeigen erstens, dass keine bzw. kaum Fächergruppenunterschiede in der affektiven und verhaltensbezogenen Dimension der interkulturellen Kompetenz bestehen, wenn etwaige Unterschiede in soziodemografischen und studienbezogenen Merkmalen sowie in den Internationalisierungserfahrungen kontrolliert werden. Für die kognitive Dimension sowie die Skala „Aufbau von Beziehungen“ waren hingegen auch nach Kontrolle dieser Variablen Unterschiede zwischen den Fächergruppen zu beobachten.

Zweitens zeigen die Ergebnisse, dass studienbezogene Auslandserfahrungen auch über private und schulische Internationalisierungserfahrungen sowie fachkulturelle Unterschiede hinaus mit der Entwicklung interkultureller Kompetenz in Zusammenhang stehen. Die Motivation bzw. das Interesse an interkulturellen Erfahrungen war auch nach Kontrolle weiterer Erklärungsfaktoren signifikant höher, wenn Studierende ein Auslandssemester und/oder ein Auslandspraktikum absolviert hatten. Das Absolvieren eines Auslandssemesters stand zudem auch mit einem höheren Bewusstsein und einer höheren Reflexionsfähigkeit interkulturellen Wissens sowie mit besseren Englischkenntnissen in Zusammenhang.

Für die verhaltensbezogene Dimension der interkulturellen Kompetenz scheint hingegen ein Auslandspraktikum bedeutsamer zu sein als ein Auslandssemester. Studierende, die ihr Praktikum im Ausland absolviert hatten, schätzten sowohl ihre Fähigkeit, sich in interkulturellen Situationen angemessen und flexibel verhalten zu können, als auch ihre Fähigkeit, schnell Beziehungen aufzubauen zu können, höher ein.

Insgesamt sprechen die Befunde also dafür, dass sowohl die Auseinandersetzung mit kultursensiblen Studieninhalten in den Sozial- und Geistes- bzw. Kulturwissenschaften als auch studienbezogene Auslandserfahrungen die Entwicklung interkultureller Kompetenz fördern können. Während studienbezogene Auslandserfahrungen insbesondere mit einer höheren Motivation, einer besseren Sprachkompetenz und einem interkulturell angemesseneren Verhalten in Zusammenhang stehen, zeigen sich fachkulturelle Effekte erwartungsgemäß vor allem in Bezug auf interkulturelles Wissen und Reflexionsfähigkeit. Aufgrund des Querschnittsdesigns der Studie sind abschließende Aussagen zu den kausalen Zusammenhängen zwischen studienbezogenen Erfahrungen und der Entwicklung interkultureller Kompetenz allerdings nicht möglich. So wäre es auch möglich, dass Studierende, die bereits eine hohe interkulturelle Kompetenz in den drei Bereichen mitbringen, sich auch häufiger für entsprechende Fächer sowie Auslandsaufenthalte entscheiden, was wiederum die Entwicklung interkultureller Kompetenz begünstigt.

Ein Bericht mit den Ergebnissen der Validierungsstudie wird bis Januar 2024 auf der Webseite der Arbeitsstelle Lehr- und Studienqualität veröffentlicht. Das entwickelte Kurz-Instrument soll zukünftig in den zentralen Bachelor- und Masterbefragungen eingesetzt werden. Anhand dieser repräsentativen Stichproben werden dann auch Vergleiche zwischen Studienanfänger:innen und fortgeschrittenen Studierenden möglich sein, die Hinweise auf Unterschiede in den Eingangsvoraussetzungen in den Fächergruppen geben können.