Dissertation: Individuelle und professionelle beliefs-Systeme von Sachunterrichtslehrkräften zu sexuellen Orientierungen und ihre Auswirkungen auf die Didaktische Strukturierung
Abstract:
Die didaktische Verankerung sexueller Orientierungen im Sachunterricht erweist sich bislang als unzureichend, ist durch fehlende curriculare Zielsetzungen und Handlungsempfehlungen nicht systematisiert und in fachdidaktischen Diskursen weitgehend marginalisiert (GDSU, 2013; Simon & Kallweit, 2023). Während Konsens darüber besteht, dass Sexualität eine Thematik des Sachunterrichts sein sollte, herrscht Uneinigkeit über die konkrete didaktische Ausrichtung und den Stellenwert des Themas im Kontext der Sachunterrichtsdidaktik (Coers et al., 2023). Gleichwohl stellt die Thematisierung sexueller Orientierungen aufgrund kontrovers geführter gesellschaftlicher Diskurse eine besondere Herausforderung für Lehrkräfte im Sachunterricht dar (Coers et al., 2023). Dies zeigt sich unter anderem daran, dass die Prinzipien einer Sexualpädagogik der Vielfalt, ungeachtet ihrer theoretischen Fundierung, noch nicht in vollem Umfang in der pädagogischen Praxis implementiert sind (Gegenfurtner & Gebhardt, 2018).
Aus den vorherigen Ausführungen lässt sich die Frage ableiten, ob und in welcher Weise sexuelle Orientierungen im Sachunterricht Berücksichtigung finden. Offen im Diskurs besteht maßgeblich die zentrale Fragestellung, ob dieses Thema innerhalb der sexuellen Bildung systematisch integriert, als Querschnittsthematik behandelt oder gänzlich ausgelassen wird. Von besonderer Bedeutung erscheint in diesem Zusammenhang der Einfluss der beliefs-Systeme der Sachunterrichtslehrkräfte, da diese die didaktische Strukturierung sowie die unterrichtlichen Entscheidungen maßgeblich bestimmen (Baumert & Kunter, 2006). Empirische Studien belegen dazu, dass beliefs-Systeme nicht nur die Formulierung von Unterrichtszielen, sondern auch die intendierten Lernprozesse tiefgreifend beeinflussen (Reusser et al., 2011). Inwieweit sich diese Zusammenhänge auch auf die Thematisierung sexueller Orientierungen im Sachunterricht übertragen lassen, bildet die zentrale Fragestellung dieses Dissertationsprojektes:
In wie fern wirken sich die individuellen und professionellen beliefs-systeme von Sachunterrichtslehrkräften auf die didaktische Strukturierung (am Modell der didaktischen Rekonstruktion) zu sexuellen Orientierungen aus?
Die Datenerhebung erfolgt im konzipierten Forschungsdesign in zwei Sequenzen: Zunächst werden narrative Einzelinterviews mit einer Gesamtstichprobe von acht ausgewählten Sachunterrichtslehrkräften durchgeführt. Diese Interviews werden durch die Heidelberger Strukturlegetechnik (Müller & Herbig, 2004; Scheele, Groeben & Christmann 1992) ergänzt, um individuelle und professionelle beliefs-Systeme in Bezug auf Sexuelle Orientierungen im Sachunterrichtskontext zu erheben. Aufbauend auf diesen Ergebnissen folgen halb-offene Leitfrageninterviews, orientiert an Rosenthal (2016), um die zuvor generierten Erkenntnisse weiter zu vertiefen und zu präzisieren. Als Forschungsstil wird innerhalb dieses Dissertationsprojekts die Reflexive Grounded Theory nach Breuer (2010) verfolgt. Ziel dieses Forschungsdesigns ist es abschließend, die Wechselwirkungen zwischen (1.) individuellen und professionellen beliefs-Systemen, (2.) der fachlichen Klärung von sexuellen Orientierungen im Sachunterricht sowie (3.) dem didaktischen Planungshandeln zu sexuellen Orientierungen zu analysieren.
Literaturverzeichnis:
Baumert, J., & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469–520. https://doi.org/10.1007/s11618-006-0165-2
Breuer, F., Muckel, P., & Dieris, B. (2019). Reflexive Grounded Theory: Eine Einführung für die Forschungspraxis (4., aktualisierte Aufl.). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21867-1
Coers, L., Erbstößer, S., Kallweit, N., Kollinger, B., & Simon, T. (2023). Herausforderung Sexuelle Bildung im Sachunterricht: Theoretische, empirische und praktische Perspektiven. In D. Schmeinck, K. Michalik & T. Goll (Hrsg.), Herausforderungen und Zukunftsperspektiven für den Sachunterricht (S. 171–187). Verlag Julius Klinkhardt. https://doi.org/10.35468/5998-18
GDSU (Hrsg.). (2013). Perspektivrahmen Sachunterricht (vollständig überarb. u. erw. Ausg.). Verlag Julius Klinkhardt.
Gegenfurtner, A., & Gebhardt, M. (2018). Sexualpädagogik der Vielfalt: Ein Überblick über empirische Befunde. Zeitschrift für Pädagogik, 64(3), 379–393. https://doi.org/10.25656/01:21826
Müller, M., & Herbig, B. (2004). Methoden zur Erhebung und Abbildung impliziten Wissens: Ergebnisse einer Literaturrecherche. Lehrstuhl für Psychologie, TU München.
Reusser, K., Pauli, C., & Elmer, A. (2011). Berufsbezogene Überzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern. In E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 478–495). Waxmann.
Rosenthal, G. (2014). Interpretative Sozialforschung: Eine Einführung (5. Aufl.). Beltz Juventa.
Scheele, B., Groeben, N., & Christmann, U. (1992). Ein alltagssprachliches Struktur-Lege-Spiel als Flexibilisierungsversion der Dialog-Konsens-Methodik. In B. Scheele (Hrsg.), Struktur-Lege-Verfahren als Dialog-Konsens-Methodik (S. 152–197). Aschendorff.
Simon, T., & Kallweit, N. (Hrsg.). (2023). Sexuelle Bildung in der Primarstufe – (k)eine Selbstverständlichkeit? Primarpädagogische und -didaktische Beiträge zur sexuellen Bildung unter besonderer Berücksichtigung von Geschlechterstereotypen. Schneider Verlag Hohengehren. https://doi.org/10.25656/01:28088