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Preisträgerin des Marie-Schlei-Preises 2019

Iris Würbel bei ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Marie-Schlei-Preises

Iris Würbel bei ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Marie-Schlei-Preises
Bildquelle: privat

Kategorie:
Masterarbeit ohne Themenbindung

Iris Würbel

Zur Person

  • Studium der Wirtschaftspsychologie, B.Sc. an der Hochschule Harz (2009-2013) und der Bildungswissenschaft, M.A. an der Freien Universität Berlin (2015-2018)
  • Feldforschungsaufenthalte in Pune, Indien (2017, 2018) zur Mitarbeit an Projekten der Gruppe Kulturvergleichende Entwicklungspsychologie an der Freien Universität Berlin
  • Seit März 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Freien Universität Berlin
  • In meinem Promotionsprojekt erforsche ich, wie Kinder Vertrauen und gruppenbezogene Einstellungen konstruieren. Dabei liegt ein Fokus darauf, wie sich von den Kindern erlebte gesellschaftliche Krisenmomente auf diese Konstruktionen auswirken.

Abschrift der Rede vom 21. November 2019 zur Verleihung des Marie-Schlei-Preises

Ab dem Jahr 2015 flüchtete eine im Vergleich zu den vorherigen Jahren große Anzahl an Frauen, Männern und Kindern über die Balkanroute nach Deutschland. Im Herbst 2015 wollte ich mein Masterstudium der Bildungswissenschaft an der Freien Universität Berlin beginnen. Den für mich freien Monat vor Studienbeginn nutzte ich, um die Initiative „Moabit hilft“ bei ihrer wichtigen Arbeit vor Ort im LaGeSo in Berlin-Moabit zu unterstützen. Während meines ersten Studienjahres unterstützte ich dann über den Verein „German Now“ geflüchtete Personen, die noch keinen Platz in einem Deutsch- bzw. Integrationskurs zugewiesen bekommen hatten, mit informellem Deutschunterricht. Diese Erfahrungen waren für mich prägend. Ich traf auf tolles bürger_innenschaftliches Engagement von Personen, die mit anpackten und etwas beitragen wollten, um für ankommende Familien, Kinder sowie Alleinreisende hilfreich zu sein. Auch lernte ich individuelle Lebenswege von Personen mit Fluchtgeschichte kennen. In dieser Zeit waren da außerdem die zunehmenden Ressentiments gegenüber „den Flüchtlingen“ in der Öffentlichkeit und auch zunehmend Sorgen verunsicherter und überforderter Mitmenschen im privaten Umfeld.

Die Eindrücke dieser Zeit zwischen 2015 und 2016 begleiteten mich während meines Masterstudiums. Auch dadurch motiviert beschäftigte ich mich mit Themen wie Akkulturation, Macht und Konformität in Gruppen sowie Fremdheitserfahrungen als Schlüsselerlebnisse kindlicher Entwicklung.

Nach zwei Jahren stellte sich dann die Frage nach einem Thema für meine Masterarbeit. Vor dem Hintergrund der geschilderten gesellschaftspolitischen Ereignisse fragte ich mich: Wieso nahmen Menschen in Deutschland und Europa die Situation so unterschiedlich wahr, dass asylsuchende Personen kamen? Warum waren die einen optimistisch und brachten den Neuangekommenen Vertrauen entgegen und andere reagierten verunsichert, besorgt, manche mit Angst und Abneigung?

Besonders berührte mich, dass von 500 000 Bewerber_innen um Asyl im Jahr 2016 allein 14,6 % Kinder im Alter von null bis fünf Jahren waren (lt. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Auch wenn es zum damaligen Zeitpunkt keine belastbaren Zahlen dazu gab, war anzunehmen, dass diese Kinder zum Teil die Kita besuchten. Ich fragte mich, welche Erfahrungen sie dort machen würden. Welche Haltungen würden ihnen von ihren Gleichaltrigen, ihren Peers, entgegengebracht werden? Würden die Jüngsten unserer Gesellschaft schon merken, dass es ihren neuen Peers gegenüber von Seiten der Erwachsenenwelt unterschiedliche Haltungen gab? Würden die Jüngsten unserer Gesellschaft überhaupt schon merken, dass einige ihrer Peers zu der Gruppe der „Flüchtlinge“ gezählt werden könnten?

In verschiedenen Studien wurde gezeigt, dass im Alter von drei bis vier Jahren soziale Kategorien wie Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit für Kinder zugänglich sind und genutzt werden, um Gruppen zu beschreiben. Es wurde außerdem beobachtet, dass ab dem Alter von vier bis fünf Jahren vorurteilbehaftete Vorstellungen von Personen sowie negative Vorurteile gegenüber Personen außerhalb der eigenen Gruppe entstehen können. In diesem Zusammenhang beschäftigte ich mich auch mit der Kontakthypothese und fragte mich: Denken Kinder verstärkt in Vorurteilen, wenn sie bisher noch keinen Kontakt zu Personen mit Fluchtgeschichte hatten?

Vor diesem Hintergrund entstand das Projekt meiner Masterarbeit mit Dr. Patricia Kanngießer, Leiterin der Gruppe für Kulturvergleichende Entwicklungspsychologie, als Erstgutachterin und Prof. Dr. Inka Bormann, Leiterin des Arbeitsbereichs für Allgemeine Erziehungswissenschaft, als Zweigutachterin. In einem kindgerechten strukturierten Interview befragte ich 5- und 6-jährige Kinder aus vier Berliner Kitas – unter anderem zu ihren Stereotypen und assoziativen Einstellungen zu Kindern mit Fluchterfahrung. Im Ergebnis der Masterarbeit zeigen sich erste Hinweise darauf, dass Kinder gegenüber ihren Peers mit Fluchterfahrung stereotype Vorstellungen haben. Dies scheint insbesondere dann der Fall zu sein, wenn Kinder noch keinen Kontakt zu Personen mit Fluchterfahrung hatten.

Ich sehe meine Masterarbeitsstudie als kleinen Baustein auf dem Weg mehr über die Grundvoraussetzungen für gesellschaftliches Miteinander und Zusammenhalt in einer globalisierten und zunehmend sozial pluralen Welt zu erfahren. Ich freue mich darum sehr darüber, den Marie-Schlei-Preis zu erhalten.

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich für die Beratung und Unterstützung von meinen beiden Gutachterinnen bedanken. Ohne diese wäre die Masterarbeit so nicht entstanden. Durch Patricia Kanngießer und ihr Team an der Freien Universität Berlin konnte die Forschung innerhalb des Projektes außerdem im Jahr 2019 weitergeführt werden. Es ist geplant, die Ergebnisse innerhalb der nächsten Jahres in einem Journal-Artikel zu veröffentlichen. Ebenso möchte ich mich bei meinem Freund Andreas bedanken für sein immer offenes Ohr und seine andauernde Unterstützung zu jeder Zeit.